Wie tolerant und inklusiv sind die Unternehmen in Deutschland bereits?
Wie tolerant und inklusiv sind die Unternehmen in Deutschland bereits? ©AdobeStock

Die 5 wichtigsten Tipps für mehr Inklusion und Diversität

Vielfalt ist in aller Munde, häufig werben Unternehmen auch damit. Doch wie tolerant und inklusiv sind Unternehmen in Deutschland schon? Und wie schaffen wir eine wirklich inklusive Unternehmenskultur? Mit 5 Experten-Tipps für mehr Inklusion.

Themen wie Rassismus, Diskriminierung oder die Gleichberechtigung der Geschlechter bewegen die ganze Gesellschaft – und auch die Unternehmenswelt. Zahlreiche Studien belegen, dass vielfältige Teams zu kreativen Lösungsansätzen und innovativen Ideen führen. Doch Diversität alleine reicht nicht aus. In vielfältigen Teams müssen sich auch alle Mitarbeitenden gleichermaßen wertgeschätzt und respektiert fühlen. Deswegen wird mittlerweile nicht nur von Diversity gesprochen, sondern von Diversity and Inclusion (D&I).

Auch in den meisten Unternehmen ist das Thema Diversitäts-Management angekommen. 67 Prozent der befragten Unternehmen gaben in der Studie „Diversity-Trends“ der Charta der Vielfalt an, dass sie mit Diversity konkrete Vorteile für ihr Unternehmen verbinden. 63 Prozent gehen davon aus, dass Diversity als Ansatz in der strategischen Führung von Unternehmen an Bedeutung gewinnen wird. Das ist grundsätzlich ein gutes Zeichen. Doch wie tolerant und inklusiv sind die Unternehmen in Deutschland bereits?

Diversity auf dem Prüfstand

Viele erkenntnisreiche Studien gibt es dazu bisher noch nicht. „Das liegt auch daran, dass Diversität bisher ein nicht genau definierter Begriff ist“, erklärt Flora Moghimi, Diversity- und Inklusionsberaterin. Es gäbe noch keine gemeinsam genutzte und messbare Grundlage, was es heißt, ein inklusives Unternehmen zu sein. So würde jeder von etwas anderem reden.

Die Sozialpsychologin Johanna Degen sieht das bisherige Diversity-Management in Unternehmen sogar kritisch. Für eine Studie sprachen sie und ihr Team mit unterschiedlichsten Mitarbeitenden, zum Beispiel mit alleinerziehenden Frauen oder Migrantinnen und Migranten. Sie fanden keine Person, der ein Diversity-Manager in ihrem Job geholfen hätte, erzählt sie in einem Interview mit Zeit Campus.

Beim Thema Vielfalt ginge es den Unternehmen oft nicht darum, Diskriminierung zu bekämpfen, sondern vielmehr darum, besser zu performen: „Vielfalt wird oft zur Fassade.“ Das läge auch daran, dass die Aufgaben von Diversity-Managern nicht immer klar definiert seien. Manche entwickeln Workshops, manche verschicken Newsletter, andere betreuen Stellenausschreibungen. Hinzu käme: In der Untersuchung waren viele Diversity-Manager weiße kinderlose Frauen – also Menschen, die wahrscheinlich weniger benachteiligt sind und eigenes Erfahrungswissen im Bezug auf Diversität nicht mitbringen.

Auch im Vorwort der „Diversity-Trends“-Studie heißt es: „Wir erleben ungeheures Engagement, wir erleben manchmal aber auch Schwierigkeiten im Kampf gegen Beharrungskräfte und Vorurteile.“ Diversity Management könne seine volle Wirkungskraft erst entfalten, wenn es umfassend und nachhaltig praktiziert wird. Doch wie gelingt das?

Praktische Schritte zur Vielfalt am Arbeitsplatz

Die inklusive Kultur eines Unternehmens ist nicht immer so leicht greifbar, sagt Floria Moghimi. Sie erklärt es deswegen mit einem Bild: Auf einem Acker mit ausgelaugter Erde wächst angepflanztes Gemüse nicht so gut wie auf einem Acker mit gesunder und vitaler Erde, der mit viel Liebe gepflegt wird. Um zu wissen, wie inklusiv sie sind, müssen Unternehmen sich daher fragen: Welche Erde ist da überhaupt? Welche Strukturen bei uns fördern oder verhindern Inklusion? All das lässt sich über Umfragen herausfinden, in denen die Mitarbeitenden zum Beispiel gefragt werden, wie inklusiv sie ihr Arbeitsumfeld wahrnehmen. Die Schwierigkeit sei allerdings, dass das Bild, das aus den Umfragen entsteht, sich immer an der Mehrheit orientiert, gibt Floria Moghimi zu bedenken. „In einem Unternehmen, in dem mehrheitlich weiße Männer ohne Behinderung arbeiten, werden sich wahrscheinlich wenige Menschen diskriminiert fühlen.“

Um ein vielschichtiges Stimmungsbild zu erhalten, könnten in der Umfrage auch Identitäten abgefragt werden. So lassen sich einzelne Aussagen besser einschätzen. Denn eine Frau mit Migrationshintergrund würde das gleiche Unternehmen vielleicht als viel weniger inklusiv einschätzen. Der erste Schritt in Richtung Diversität und Inklusion ist also eine Bestandsaufnahme, die einen Überblick über die Problemlage gibt. Floria Moghimi empfiehlt, sich dabei am ISO-Standard für Diversity and Inclusion zu orientieren. Diesen internationalen Standard gibt es seit 2021. Er beschreibt, wie erfolgreiches Diversity Management in Unternehmen aussehen kann. Vor allem mittelständische und kleine Unternehmen und Institutionen ohne Diversity-Abteilungen bekommen hier Grundlagen, Praxisbeispiele und Maßnahmen zur Umsetzung vorgestellt. 2024 wird die Übersetzung des Standards in eine nationale DIN-Norm für Deutschland erwartet.

Diskriminierung nicht tolerieren

Je konkreter die Ergebnisse der Bestandsaufnahme sind, umso besser können Maßnahmen ergriffen werden. Geben Mitarbeitende beispielsweise an, dass sie sich in Bezug auf das Gehalt nicht fair behandelt fühlen, dann existiert vielleicht ein Gender- oder ein Migration Pay Gap. Der bezeichnet die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft, die sich im geringeren Gehalt widerspiegelt. Hier kann das Unternehmen dann konkret überlegen, wie es seine Gehaltsstrukturen verändert, damit das zukünftig nicht mehr passiert. Aber auch diskriminierendes Verhalten kann ein Problem sein. Werden Frauen in Meetings vielleicht häufiger unterbrochen als Männer?

Die Änderung von individuellen Verhaltensweisen ist schwieriger, aber nicht unmöglich, weiß Floria Moghimi. Sie zitiert die Autoren Steve Gruenert und Todd Whittaker: „Die Kultur einer jeden Organisation wird durch das schlimmste Verhalten geprägt, das die Führungskraft zu tolerieren bereit ist.“ Wie divers und inklusiv ein Unternehmen ist, hängt also auch immer davon ab, wie ernst es den Führungskräften mit der Umsetzung dieser Werte ist. Auch hier gibt es Wege, das zu kontrollieren. Zum Beispiel, indem das Unternehmen ein sehr klares Führungsleitbild formuliert, in dem detailliert steht, welches Verhalten von Führungskräften erwartet wird und welches Verhalten sanktioniert wird.

„Wenn jemand ständig Frauen im Meeting unterbricht oder ihre Ideen klaut, dann nennt man das eine Mikroaggression“, erklärt Floria Moghimi. Führungskräfte, die dafür anfällig sind, könne man dann durch Trainings für solche Themen sensibilisieren. Es gibt auch Trainings zur „Verbündetenschaft“. In diesen werden Mitarbeitende geschult, problematisches Verhalten direkt anzusprechen und dann vielleicht im Meeting zu sagen: „Hey Thomas, du hast Sabine gerade unterbrochen. Ich möchte aber hören, was sie sagen möchte.“

Der Weg zu einer inklusiven Unternehmenskultur erfordert von allen Seiten einen langen Atem und viel Engagement. Doch Unternehmen, die sich für Diversität und Inklusion einsetzen, werden belohnt. Sie profitieren von einem vielfältigeren Ideenpool und können so innovativ und damit wettbewerbsfähig bleiben.

5 Tipps für eine inklusive Kultur in Unternehmen von Floria Moghimi

1. Akzeptieren: Wir erkennen an, dass es in unserem Unternehmen auf verschiedenen Ebenen Diskriminierung gibt, und wollen etwas daran ändern.

2. Definieren: Wie kann inklusive Kultur bei uns aussehen? Was wäre der Idealzustand? Und wenn wir ihn erreicht haben – was ist dann anders als jetzt?

3. Messbar machen: Durch Umfragen, qualitative Analysen oder auch direkte Gespräche miteinander kann die inklusive Kultur im Unternehmen gemessen werden.

4. Psychologische Sicherheit schaffen: Der Begriff beschreibt eine von Vertrauen geprägte, positive Arbeitsatmosphäre, in der Teammitglieder sich trauen, ihre Meinung zu teilen oder Fehler zuzugeben. Das wirkt sich nicht nur positiv auf die Arbeitszufriedenheit aus, sondern auch auf die gesamte Teamleistung, haben unterschiedliche Studien festgestellt.

5. Dabeibleiben – auch in Krisenzeiten: Bei wirtschaftlichen Krisen sind Diversität und Inklusion oft eines der ersten Themen, an denen gespart wird. „Doch diejenigen, die das Thema ernst nehmen, bleiben trotzdem weiter dran“, sagt Floria Moghimi. „Das werden die Unternehmen sein, die später auch die guten Talente anziehen werden.“