Das erste, was im Gespräch mit Nicole Stigler auffällt, ist ihre ruhige und angenehme Stimme. Die aber trotzdem verrät, wann ihr etwas besonders viel Freude bereitet hat in ihrem Berufsleben: Dann wird der Klang ein wenig heller, aber nicht lauter – Begeisterung auf Norddeutsch. Bis zur zweiten Grundschulklasse hat sie nahe Hamburg gelebt, dann führte ein Positionswechsel des Vaters die Familie in das Weinbaugebiet Bergstraße in Baden-Württemberg. 1973 war das, nach der Grundschule ging es weiter auf dem Gymnasium, und mit dem Abitur in der Tasche entschied sie sich schließlich für eine Ausbildung zur Hotelfachfrau.
HARTE SCHULE NACH DER SCHULE
Service-Orientiertheit, große Flexibilität und die Fähigkeit, sich immer wieder auf andere Menschen einzustellen, sind in der Hotellerie das A&O. „Die Ausbildung war heftig“, erinnert Nicole Stigler sich, „aber ich habe dort für mein Leben gelernt.“ Vieles habe sie auch sehr geschätzt an dem Beruf, die Vielsprachigkeit zum Beispiel, die große Bandbreite an Aufgaben und die Aufstiegsmöglichkeiten, „zuletzt war ich stellvertretende Empfangschefin im Messehotel Stuttgart“. Schließlich forderte der Beruf dann aber doch zu viel, zumal der Ehemann im Gastro-Bereich tätig war, mit ebenfalls wechselnden Arbeitszeiten: „Irgendwann tauschten wir uns fast nur noch über Zettelchen aus.“
AUSPROBIEREN UND ERFAHRUNG SAMMELN
Sie bewarb sich als Business Service Sekretärin am Flughafen und war fortan dafür zuständig, dass Business-Reisende auch von unterwegs optimal arbeiten konnten, „Smartphones gab es ja damals noch nicht“. Es folgten ein „mäßig fordernder“ Arbeitsplatz als Empfangssekretärin und schließlich der wohl entscheidende Einstieg in den Assistenzberuf: Beim heutigen Evangelischen Fachverband für Teilhabe wurde eine Sekretärin gesucht, „das passte vom Aufgabenprofil und auch inhaltlich sehr gut“. Schon nach einem Jahr wechselte sie dort in den Bereich Rechnungswesen, Verwaltung, Organisation. Eine Herausforderung, die ihr Chef gezielt für sie ausgesucht hatte: „Wenn ich Ihnen nichts gebe, was Sie fordert, dann sind Sie weg“, lautete seine Begründung.
EINE ZÄSUR MIT GLÜCKLICHEM AUSGANG
Sie war jetzt um die Dreißig, es lief rund mit der Karriere, der nächste Schritt würde sicher nicht lange auf sich warten lassen. Doch dann erkrankte ihr Mann ernsthaft und die Prioritäten waren plötzlich ganz andere. Gemeinsam standen sie die schlimme Zeit durch, fanden medizinisch gute Hilfe, überwanden die Krise zwischen Bangen und Hoffen. Nach der Genesung zog das Paar zurück an die Bergstraße, „da war ich dann beruflich erst einmal nicht wählerisch, Hauptsache es ging weiter“. Sie begann als Einkaufsassistentin bei einem großen Bio-Lebensmittelanbieter und blieb drei Jahre. „Es war eine interessante Zeit, ich habe auch dort viel gelernt. Aber der Bio-Einzelhandel war nicht wirklich meine Welt.“
Über eine Kollegin kam sie schließlich mit einer ganz anderen Branche in Berührung: „Ihr damaliger Freund arbeitete bei Merrill Lynch und schwärmte von seiner tollen Arbeit im Investment Banking. Und er sprach so ein schönes Englisch!“ Als dort eine Team-Assistenz gesucht wurde, bewarb sie sich, mit Erfolg. „Ich hatte ganz schnell das Gefühl, in dieser Branche bin ich am richtigen Platz.“ Im Januar 2001 beginnt sie bei Merrill Lynch als Team- Assistentin und arbeitet sich intensiv in die komplexe Materie ein, perfektioniert ihr Englisch. Ihre Bereitschaft zu lernen und ihre Freude an der Arbeit kommen gut an, „ich habe immer wieder Aufgaben übernommen, die mich gefordert und begeistert haben“. Sie arbeitet für das deutsch-österreichische Team, das von einer Chefin geleitet wurde – „eine fabelhafte Frau!“ –, und unterstützt sie dabei, die Termine für die Weltbanktagung in Washington zu managen. Sie bewährt sich bei dieser schwierigen Aufgabe und wird später auch für das Terminmanagement für Europa eingesetzt. 2006 bearbeitet sie als Projektleiterin die Region EMEA – Europe, Middle East, Africa – für die Weltbanktagung in Singapur und ist dort auch vor Ort.
„SO WILL ICH IMMER ARBEITEN“
Für Nicole Stigler wurde klar: „Diese gegenseitige Wertschätzung, diese Professionalität, diesen hohen Anspruch an die eigene Arbeit, das ist meine Welt.“ Mittlerweile war die Team-Assistentin Vierzig, schaute nach vorn und nahm sich vor: „Mit 50 bist du Vorstandsassistentin.“ Die Chance kam früher als gedacht. 2007 meldet sich eine Headhunterin und bietet ihr die Assistenz im Vorstand Asset Management bei der Schweizer Großbank Credit Suisse an. „Natürlich war es ein gutes Gefühl, auf diese Weise ausgewählt zu werden“, sagt Nicole Stigler, „und das berufliche Umfeld entsprach meinen Vorstellungen“. Sie arbeitet sich mit Begeisterung in die neue Rolle ein, absolviert beim bSb – Bundesverband Sekretariat und Büromanagement – eine Fortbildung zur geprüften Management-Assistentin, Schwerpunkt Betriebswirtschaft. „Als Vorstandsassistentin wird man anders wahrgenommen, man muss anders kommunizieren, man hat viel mit der Führungsriege zu tun. Die Zeit dort hat mich entscheidend vorangebracht.“ Sie bleibt bis 2012, dann folgt eine Zwischenstation als Personal Assistant bei der Allianz Global Investors, „knallhartes Terminmanagement, das lag mir nicht so“.
2013 wechselt sie in den Pharma-Bereich zur Sanner Group, als Assistentin des Geschäftsführers. Kein ganz einfacher Einstieg, erinnert sie sich. „Ein produzierendes Gewerbe tickt auch wieder anders. Da war es damals eher ungewöhnlich, mich als eine Art ‚Sparringpartner‘ für den Geschäftsführer zu betrachten und entsprechend einzusetzen. Ein Jahr hat es ungefähr gedauert, bis wir so richtig harmonierten.“ Die Zeit dort war dennoch reich an Highlights. Als ein Vertriebsbüro in Indien gegründet werden soll, setzt sie die notwendigen Prozesse auf, sucht sich Expertise intern, holt externes Know-how dazu, arbeitet auch direkt vor Ort in Indien.
„Man darf keine Angst haben vor Herausforderungen“, lautet ihre Erfahrung aus dieser Zeit, „offen sein, die richtigen Fragen stellen, bei Bedarf professionelle Unterstützung holen und über Entscheidungen immer gut informieren“. Das Indien-Projekt gelingt, ein anderer Einsatz vor Ort führt sie in die USA, und am heimischen Standort wird sie damit beauftragt, den Wandel in eine New- Work-Arbeitswelt zu begleiten. Freude klingt durch, als sie von einem Lieblings-Projekt erzählt, das sie damals leitete: „Einen Raum haben wir in eine Art Wohnzimmer umgestaltet. Da kamen aus der Belegschaft schon mal Fragen wie ‚Was soll das denn?‘. Als alles fertig war, wurde es der meistgebuchte Raum für Besprechungen.“
WENN ALLES PASST, GEHT ES EINFACH GUT WEITER
Als sich personell in der Führungsriege etwas ändert, nimmt sie das zum Anlass, sich nach einer neuen beruflichen Herausforderung umzuschauen. Bei ihrer Recherche entdeckt sie ein Finanzdienstleistungsunternehmen in Bensheim, nahe dem eigenen Wohnort. „Was ich auf der Website las, sprach mich sofort an, eine eigentümergeführte „Investmentboutique“. „Das war genau das Umfeld, das ich mochte.“ Im März 2020 beginnt sie dort als Office-Managerin. Zehn Mitglieder zählt das Team, Nicole Stigler arbeitet am engsten mit dem Inhaber und CEO Dr. Andreas Sauer und dem zweiten Geschäftsführer, Dr. Daniel Linzmeier, zusammen. Auf Anhieb passt es in jeder Hinsicht. Die Vorstellungen davon, wie man miteinander umgeht und wie man sich für das Unternehmen einbringt, gleichen sich, ihre Erfahrung sorgt für ein schnelles und problemloses Einarbeiten, ihr Lerneifer ist willkommen. Der Chef erkennt das Potenzial seiner neuen Mitarbeiterin und erweitert ihr Einsatzgebiet als Office-Managerin um eine anspruchsvolle Aufgabe, Compliance, und ändert ihren Titel in Corporate Administration. „Wir vereinbarten, dass ich eine entsprechende Weiterbildung absolvieren würde und ich begann sofort mit der Recherche.“ Sie findet eine anerkannte Akademie in Frankfurt, holt sich das OK vom Vorgesetzten und sitzt fortan mit Maske in der Schulung. „Man hätte es auch online machen können, aber ich habe beschlossen, dass ich im Präsenzunterricht einfach mehr mitbekomme.“
WEITERBILDUNG ZUM COMPLIANCE OFFICER
Das Lernpensum ist gewaltig, die Compliance-Vorschriften für Finanzunternehmen erstrecken sich über weite Bereiche. Sämtliche Anlageentscheidungen müssen nachvollziehbar sein und dokumentiert werden, Meldungen an die Bundesbank und an die BAFIN sind an der Tagesordnung, EU-Recht muss in Länderrecht transferiert werden, unzählige Regeln und Vorschriften sind zu beachten – „die Abschlussprüfung war die schwierigste Prüfung, die ich jemals gemacht habe“. Große Erleichterung, als sie besteht und seitdem als stellvertretende Compliance Officer fungiert. „Ich mache regelmäßig Auffrischungskurse, denn es kommen ständig Vorschriften hinzu“, sagt sie. „Das Thema ist sehr komplex und bei uns immer präsent. Neben meinen administrativen Aufgaben macht die Compliance-Thematik sicherlich 40 bis 50 Prozent aus.“ Klassische Assistenz gibt es auch noch an ihrem fast vollständig digitalen Arbeitsplatz, „es kommen immer noch Briefe, ich übernehme die Reiseplanung für die Kollegen, ich habe im Rechnungswesen größtenteils auf elektronischen Eingang umgestellt und unser Telefon-System auf Teams-Telefonie“. Eine Menge Expertise hat sie sich dabei angeeignet, und viele Hürden auf Anbieter-Seite überwinden müssen, jetzt aber läuft alles und der Gewinn ist für alle spürbar. Dass sie dabei stets auf gründliche Information setzt, Rückmeldungen ernst nimmt und immer alle Beteiligten ins Boot holt, ist für sie seit jeher Grundsatz, „nur so ziehen wirklich alle mit“.
UNKOMPLIZIERTE ABSTIMMUNG IM TEAM
Ihre Tätigkeit bei ansa erfüllt sie. „Ich schätze vor allem die enge und unkomplizierte Abstimmung hier im Team und das breite Aufgabenfeld. Ich kann meine vielfältige Berufserfahrung auf hohem Niveau in anspruchsvolle Aufgaben einbringen und mich gleichzeitig weiterentwickeln.“ Dass neben dem Job und dem Networking, – beim Netzwerk IMA engagiert sie sich als National Chair im Vorstand –, noch Zeit für anderes bleibt, ist ihr wichtig. „Ich singe seit über zehn Jahren im Chor, das gibt mir viel.“ Während Corona hat sie begonnen, per Online-Gesangsunterricht ihre Stimme weiterzuentwickeln, „jede Woche bekomme ich dafür Aufgabenmaterial“. Und dann steht auch noch täglich eine Runde Walken auf dem Plan. Wie das alles zu schaffen ist? „Es motiviert mich, immer wieder Neues zu lernen, nie stehen zu bleiben, offen zu bleiben.“ Das gebe ihr die nötige Energie, allen Anforderungen, ob im Beruf oder im Privaten, mit einer „Can-do-Haltung“ zu begegnen. Das klingt danach, als sei von Nicole Stigler in jeder Hinsicht noch vieles zu erwarten: „Ich bin selber immer wieder sehr gespannt, was mir die Zukunft noch bringen wird.“